Erinnerung und Dankbarkeit

Texte von Susanne Lindtberg und Elisabeth Grözinger

Erinnerung und grosse Dankbarkeit 

Text von Susanne Lindtberg


2007 besuchte ich auf Anraten von Freunden, die Mitglieder bei der Psychologischen Gesellschaft sind, ein Seminar über Empathie, geleitet von Pierre Calame. 
Beim gemeinsamen Mittagessen hatte ich das Glück, neben Véronique Christe zu sitzen.  Wir verstanden uns auf Anhieb. Sie erzählte mir viel Positives und Interessantes über die Gesellschaft und lud mich ein, am kurz danach stattfindenden Jahresausflug teilzunehmen. Neugierig gemacht, meldete ich mich dazu an und durfte einen wunderbaren Tag verleben. Dabei wollte ich es aber nicht belassen und bewarb mich bald danach als Mitglied bei der Gesellschaft. 
 
2008 gab es aus verschiedensten Gründen einen grossen Wechsel im damaligen Vorstand und mit viel Überzeugungskraft gelang es Véronique, sowie Birgit und Burkhard mich als Aktuarin für den Vorstand «anzuwerben». 
 
Damals gab es noch sehr viel «Papier-Arbeit», da nur die allerwenigsten Mitglieder bereits eine E-Mail-Adresse besassen. Barbara Schmidt, meine Vorgängerin, die den Vorstand aus familiären Gründen hatte verlassen müssen, half mir viele Stunden und Tage lang, bei ihr zu Hause, bei Kaffee und Guetsli, mit «Eintüten», wie sie es nannte. Natürlich hatte sie auch ab und zu praktische Ratschläge für mich als Neuling zur Hand. 
 
Als ich 2012 zur Präsidentin gewählt wurde, konnten wir Barbara als Aktuarin in den Vorstand zurückgewinnen, und nun konnte ich mich bei ihr für die «Eintüt-Hilfe» revanchieren. Diese Arbeit wurde zusehends kleiner, immer mehr Mitglieder konnten zum Glück über E-Mail erreicht werden. 
 
Als Präsidentin war es mir wichtig, jedes Vorstandsmitglied in einem Bereich arbeiten zu lassen, der ihr/ihm am besten lag. Damit wurde auch die wichtige Mitarbeit jedes einzelnen sichtbar.  Mit grosser Disziplin wurde ich jeweils vorgängig über alle Ideen informiert und freute mich jedes Mal, wie gut das funktionierte. Ich möchte hier stellvertretend für die damaligen Vorstandsmitglieder an Doris Lötscher und ihre Kreativität erinnern – sie hatte z.B. an der Mitgliederversammlung die Aufgabe, sich im Namen des Vorstands bei speziellen Einsätzen oder Hilfen einzelner Mitglieder zu bedanken und tat dies jeweils immer in einer anderen, fantasievollen Form. Ich bin sicher, dass sich einige Mitglieder noch an diese jeweils heiteren Momente erinnern können. 
 
Natürlich waren wir uns manchmal an Vorstands-Sitzungen nicht immer sofort einig – aber wir kamen jedes Mal zu einem Konsens, der von allen akzeptiert werden konnte. 
Ohne es auszusprechen, hatten wir alle das gleiche Ziel: Gemeinsam für die Gesellschaft zu arbeiten. Für die Sitzungen wechselten wir uns jeweils als Gastgeber und Gastgeberinnen ab, und in dieser Funktion sorgten wir auch jedes Mal für ein anschliessendes gemeinsames Abendessen, das unseren Zusammenhalt auch privat förderte. Während dieser Zusammenarbeit entstanden für mich Freundschaften, die noch heute bestehen, auch wenn man sich natürlich nicht mehr so regelmässig sieht. Dafür bin ich sehr dankbar. 
 
Aber nicht nur im Vorstand habe ich Freundinnen und Freunde gewonnen: In Seminaren, bei Studientagen und besonders in Kleingruppen ergaben sich immer wieder Gelegenheiten, sich näherzukommen, Gemeinsamkeiten zu entdecken und dauerhafte Freundschaften zu schliessen – und sei es «nur» die Entdeckung, dass Stefanie Baumann und ich in Zürich das gleiche Gymnasium besucht und zum Teil die gleichen Lehrkräfte gehabt hatten.
 
Das alles wäre ja schon beinahe zu schön, um wahr zu sein – aber es durfte noch viel weiter gehen: 
 
2013 wurde es für mich zur schrecklichen Gewissheit, dass mein Mann an Demenz erkrankt war. Wer das erlebt hat, weiss, was es bedeutet. In dieser ersten Zeit, in der sich mein Leben sehr rasch veränderte, gingen wir – ca. 14 Teilnehmerinnen und Teilnehmer - nach einem Seminar noch gemeinsam Mittag essen. Da ich in dieser neuen Situation sehr verunsichert war, erzählte ich der ganzen Runde von der Krankheit meines Mannes. Die Reaktion hätte ich niemals erwartet: Es kam mir eine Welle von Empathie (nicht Mitleid!) entgegen. Alle hatten irgendetwas dazu beizutragen, seien es eigene Erfahrungen oder wirklich gute Ratschläge. Da wusste ich, dass ich in dieser schwierigen nächsten Zeit nicht alleine sein würde. 
 
Und es hörte nicht bei diesem Mittagessen auf, sondern sprach sich in aller Sympathie natürlich auch in der Gesellschaft herum. Mein Mann, der auch Mitglied in der Gesellschaft war, kam so lange als möglich mit mir zu den Vorträgen mit. Mitglieder, die ich bisher wenig gekannt hatte, kamen, um uns zu begrüssen, plauderten mit meinem Mann und erkundigten sich später, als er nicht mehr dabei sein konnte, immer wieder nach seinem Befinden. Zwei von ihnen boten mir sogar an, ihn einige Stunden zu betreuen, damit ich in Ruhe anderes erledigen könnte. 
 
An der Jubiläumsfeier 2013, zum 80-jährigen Bestehen der Gesellschaft, bei der er unbedingt dabei sein wollte, nahmen ihn einige Mitglieder-Damen im Publikum in ihre Mitte – was er ungemein schätzte! – sodass ich die Feier mit den Mitwirkenden zusammen in Ruhe von der Bühne aus mitgestalten und erleben durfte. 
 
Selbst heute, nach rund 10 Jahren frage ich mich noch manchmal, wie ich diese Zeit ohne all diese Zuwendung, die mich vor der grossen Einsamkeit bewahrt hat, überstanden hätte und werde immer eine grosse Dankbarkeit gegenüber allen empfinden, die mir auf diese oder jene Weise geholfen haben. 
 
Und so schliesst sich der Kreis: Angefangen hat es mit einem Seminar über Empathie. Und Empathie war das, was ich über all die Jahre erfahren und auch lernen durfte. 
 
Für die psychologische Gesellschaft, die wie alle Gesellschaften durch Corona arg gebeutelt worden ist, wünsche ich mir ein Weiter-Bestehen – vielleicht in einem anderen, kleineren Rahmen. Denn nach meinen Erfahrungen ist für das Bestehen einer psychologischen Gesellschaft etwas, was nicht in den Statuten zu finden ist, ungemein wichtig: das Interesse aneinander, gelebte Zuwendung und eben — Empathie. 
 
Susanne Lindtberg


Eine persönliche Geschichte zur Geschichte der 
Psychologischen Gesellschaft Basel 

Text von Elisabeth Grözinger

Ich kann zur Geschichte der Psychologischen Gesellschaft Basel keine lustige Geschichte beitragen, aber eine voller Dankbarkeit.
 
Mein Mann und ich, wir lebten schon vier Jahre in Basel. Ich war kurz nach unserem Umzug in die Schweiz auf die Psychologische Gesellschaft aufmerksam gemacht worden und ihr beigetreten. Burkhard und Birgit Wenger bildeten in jenen Jahren so etwas wie das Herz der Gesellschaft. Sie haben mir Wohlwollen und Aufmerksamkeit entgegengebracht. Sie wussten natürlich auch irgendwann, dass ich meine Ausbildung am C.G. Jung-Institut Zürich abgeschlossen hatte. In meiner Abschlussarbeit hatte ich den Tutzinger Gedichtkreis von Marie Luise Kaschnitz als ein poetisches Mandala interpretiert, das der Generation nach 1945 ein wenig geholfen hatte, die Trümmer ihrer geistigen Tradition zu sichten und sich einer neuen Zentrierung zuzuwenden.
 
Meine Abschlussarbeit sollte und wollte ich für einen Artikel in einer Fachzeitschrift kürzen. Burkhard und Birgit Wenger boten mir dafür ein paar Tage in ihrem Haus in Carona an. Dieses Angebot traf mich völlig unvorbereitet. Ich hatte das überhaupt nicht erwartet. Sehr freudig habe ich es angenommen. Und dann habe ich gestaunt über dieses Haus in dem Tessiner Dorf mit seiner reichen Künstlergeschichte. Hermann Hesse war in dem Haus ein und aus gegangen, in dem ich arbeiten durfte. Meret Oppenheim hatte dort gewohnt. In dem uralten Haus im Stil oberitalienischer Patrizieranwesen war der Geist der Menschen noch spürbar, denen es nach 1945 ein Zuhause geboten hatte. Ich fand dort zum Beispiel eine Zeitschrift aus den 1940er-Jahren mit dem Beitrag eines Arztes, der die Befreiung eines Konzentrationslagers miterlebt hatte. Er erzählte von jüdischen Frauen, die direkt auf ihrem Weg aus dem KZ nach den Lippenstiften griffen, die man ihnen anbot. Die roten Lippen waren ein Signal dafür, dass ihre Zeit der Demütigung beendet war, und sie wieder stolz und aufrecht über die Erde schreiten konnten.
 
So etwas fand ich, als ich im Haus der Wengers an meinem Artikel arbeitete. Das Haus setzte mich in die Zeit zurück, über die ich schrieb. Zauberhaft, wirklich zauberhaft war der Aufenthalt in Carona für mich. 
 
Birgit und Burkhard Wenger haben mit ihrer unermüdlichen Aufmerksamkeit für das Gedeihen der Psychologischen Gesellschaft Basel Sorge getragen. Ich achte und bewundere das bis heute. Aber mehr noch als die Verdienste der beiden um die Verwurzelung der Jungschen Psychologie in Basel zählt für mich ganz persönlich das Erlebnis, das mir in Carona ermöglicht wurde. Die Wengers, zwei langjährige Mäzene der Psychologischen Gesellschaft, haben mir mit ihrer Gastfreundschaft ein Geschenk gemacht, für das ich gar nicht dankbar genug sein kann. Das ist jetzt sehr persönlich. Manche mögen das als Bagatelle einstufen. Ich halte aber gerade solche persönlichen Erlebnisse, weil sie die Atmosphäre einer Gesellschaft prägen, für erwähnenswert, wenn es um die Geschichte der Psychologischen Gesellschaft Basel geht. 

Elisabeth Grözinger