Liebesbrief an die PGB
Text von Gert Sauer, Psychoanalytiker und ehemaliger Vize-Präsident der Psychologischen Gesellschaft Basel
Liebes Tantchen,
entschuldige, entschuldige die respektlose Anrede. Aber wie hätte ich Dich anreden sollen? Ehrwürdige Dame Psychologische Gesellschaft? Oder Hochverehrte, Ehrenwerte? Aller Ehren, werte Psychologische Gesellschaft? Mit „Sie“ oder mit „Du“? Jedenfalls finde ich das grossartig, dass Du so alt geworden bist und dabei so viele Reserven hast, dass Du noch jung wirkst. Bei der zweitausendjährigen Grossmutter Basilea Augusta allerdings auch kein Wunder. Wollen wir mal anschauen, wie Dein Leben verfasst ist und was da war?
Wozu Statuten? Du warst nie langweilig in Deinem Leben. Angesichts Deines stürmischen Temperaments war das kleine Korsett schon nötig, wenn ich bedenke, in welche Hasardeure sich so manche Deiner Schwestern verliebt haben! Und wie sie dann enttäuscht wurden. Ewige Treue schworen sie, die Heiratsschwindler! Und manche Deiner Schwestern starben eines frühen Todes. Dann hast Du Glück gehabt.
1. Von Aussen her: Du hast den Zweiten Weltkrieg überlebt. Mit sicherem Instinkt Fremde aufgenommen und integriert. Familie Oppenheim – Wenger zum Beispiel. Ich habe den Vortrag von Herrn Dr. Erich Oppenheim „Über die Psychologie der Gedemütigten und der Demütigenden“ mit grosser Freude und Andacht gelesen und empfinde ihn noch heute als einen Anlass zum Stolz. Schliesslich tobte damals im NS – Reich der mörderische Wotan, den C.G. Jung so verständlich beschrieben hat. Stolz bin ich auch auf Deine Eltern: Der humanistische Geist und die Basler Teig – Erde, die durch die Symbole der Wandlung sich selbst wandelnd, in einem immerwährenden Transformationsprozess von Seminaren und Vorträgen und Studienreihen, Dein Wachstum begleiteten. Natürlich hattest Du auch Bauchschmerzen: Es ist nur menschlich, liebes Tantchen, dass innere Organe manchmal, den Weg der Ganzheit vergessend, in Rivalität und Profilierungssucht verfallen. Die schweizerische Suche nach Konsens und nicht nach Sieg gab Dir die Kraft, Konflikte bis zum Tiefpunkt auszuhalten und im Vertrauen auf das Unbewusste dann neue Wege zu finden und zu gehen.
Nimm also unseren tiefen Dank für Gastfreundschaft und geistige Heimat entgegen. Sie nahm sogar die damalige Öffnung von Europa nach dem Fall des Eisernen Vorhanges achtsam auf und bot entscheidende Hilfen und Anregungen, um das dortige Interesse für die Analytische Psychologie C. G. Jungs zu unterstützen.
Die Norddeutschen sollen gelegentlich sagen, dass nach langen theoretischen Ausführungen „Butter zu den Fischen gehört“, in diesem Fall, liebes Tantchen, ein kurzer Überblick über das, was Du so getrieben hast.
2. Zuerst die Freude, die Gratulationen Deiner Schwestergesellschaften zu lesen.
3. Dein Korsett, die Statuten.
4. Menschen, die Dir Lebenszeit – und Lebensenergie geschenkt haben durch ihre Arbeit als Präsidentinnen und Präsidenten. Den Anfang machte am 20. Februar 1933 das Gründungsduo Frau Dr. Schmid -Guisan und Dr. Kurt von Sury. Als erster Präsident. Als er 1951 zurücktrat, wurde er der erste Ehrenpräsident. Als Präsidentin folgte ihm Frau Margrit Ostrowski- Sachs nach. Als deren Präsidentschaft 1958 endete, folgte Frau Lucie Heyer-Grote für zwei Jahre. Für weitere 19 Jahre übernahm Herr Dr. Ignaz Reichstein die Verantwortung und Führung. (Erinnerst Du Dich, dass sein Pudel jeden Beifall bei Vorträgen lauthals unterstütze?) Dann wurde Dr. Burkhard Wenger für weitere 19 Jahre zum Präsidenten gewählt. Ihm folgten Georg Jermann mit einem kollegialen Präsidium, bestehend aus Dr. Beatrice Hoffmann - Müller, Gert Sauer, Ulli Wössner. Es folgten Dr. Pierre Calame und Frau Dr. Elisabeth Grözinger. Der letzte Vorstand bestand aus Susanne Lindtberg als Präsidentin, Bernard Libis und Gert Sauer. Gegenwärtig ist Eva Fischer - Zehnder die Präsidentin der PGB.
5. Die Festschriften: Die erste erschien zum fünfzigsten Jahrestag mit Beiträgen von Peter Schellenbaum, Helmut Barz und Gaetano Benedetti. Ganz im akademischen Stil gehalten und auch heute noch lesenswert.
Die Zweite erschien zum 70-jährigen Bestehen der Psychologischen Gesellschaft mit Beiträgen von Norbert Chatillon und Gert Sauer. Bemerkenswert ist dabei der Abdruck einer Diskussion C. G. Jungs mit der Basler Psychologischen Gesellschaft. Kurz, aber sehr lesenswert, ist auch der Beitrag von Barbara Schmidt aus Grenzach über das Werden der Psychologischen Gesellschaft Basel. Ich nehme ihre Erwähnung zum Anlass, Barbara für die jahrelange Beheimatung von vielen Seminaren und für ihre Arbeit als Schriftführerin zu danken. Die dritte Festschrift erscheint nun zum 90. Geburtstag.
6. Die Vorlesungen und Lehrveranstaltungen, zum Teil auch in Englischer und Französischer Sprache, simultan übersetzt, den internationalen wissenschaftlichen Austausch dokumentierend. Ich denke dabei besonders an die Vorträge von Elie Humbert, der entscheidend die Verbindung zur Pariser Junggesellschaft begründete. Regen Zuspruch fanden auch die Arbeitsgruppen, die sich unter einem speziellen Thema über Jahre monatlich trafen, z.Bsp. das „Leseclübli“ zu Jung’scher Primär- und Sekundärliteratur, zu Träumen, zu Märchen, zu Animus und Anima, Weiblichkeit heute, Meister Eckhart, Psychologie und Philosophie, das „Rote Buch“, zu Film-Abenden.
7. Ein reiches gesellschaftliches Leben mit ausserordentlich schönen Jahres-Ausflügen – wunderbar vorbereitet von Véronique Christe zum Doubs-Ursprung, nach Ronchamps, die Innerschweiz, aber auch nach Strassburg, Breisach und Freiburg u.v.m. Ich denke auch an das gemeinsame Grillieren in Gersbach im Schwarzwald und die Nachmittage in Wengers Garten bei Steinen im Wiesental.
8. Mit dieser guten Atmosphäre entstand natürlich auch eine besondere Mitarbeiterschaft, liebes Tantchen, lauter Dilettanten. Im alten Sinn des Wortes sammeltest Du lauter Liebhaber um Dich: Dilettare d‘amore heisst, sich beschäftigen aus Liebe mit Deinen Angelegenheiten. Bedenke, welche ungeheuren, allein technischen Veränderungen, um nicht zu sagen „Revolutionen“ Dein Leben begleitet haben. Zum Beispiel von Antoinette Wittwers liebevoll und sorgfältig ausgearbeiteten Vortrags – Resumées, mit-stenografiert, auf Schreibmaschine geschrieben und dann auf die Walze gebracht. Über Kassettenaufnahmen zu gebrannten CDs bis heute, zum Widerwillen von vielen, rein digital, aber Du stelltest Dich dem Fortschritt. Du starbst auch deswegen nicht. Hier gilt unser Dank dem jetzigen Vorstand, der bereit war, sich den neuen Kommunikationsmöglichkeiten zu öffnen. Wir hoffen, dass sich trotz allgemeiner digitaler Verbindungen der Wunsch nach persönlicher Begegnung und Austausch wieder durchsetzt. Damit u.a. auch die gewohnte Gastfreundschaft, die z.B. durch ein offenes Abendessen Referenten und Mitglieder schon vor einem Vortrag wieder zusammenbringt
9. Apropos Dank: Das Basler Mäzenatentum ist immer zurückhaltend, was die Bühne angeht, nicht aber, was die Grosszügigkeit angeht: Feste, Jahresausflüge, Mitgliederversammlungen, was wäre aus der schönen – auch mit Blumen- und immer geschmackvollen Atmosphäre geworden, ohne die liebevolle Bereitschaft edler Damen, Deiner Freundinnen? Alles nur ge - gendert? -Nein. Wir bedanken uns auch für die Bereitschaft der Referenten, früher immer unentgeltlich oder nur zu einem geringen Betrag, mit ihren Vorträgen Mitgliedern und anderen Interessierten wertvolle geistige Nahrung für die Seele zu vermitteln. Schließlich Dank an alle Basler Mitglieder, achtsam miteinander umzugehen, zuzuhören, verschiedene Standpunkte stehenzulassen.
10. Dass Du, liebes Tantchen, bisher Deinem Schatten, dem Geldschatten, standhalten konntest: Er tauchte immer auf, wenn am Horizont die Gefahr sich zeigte, dass, dem Studienprogramm sei Dank und Burkhard Wenger sei Dank für die Reserve, das Geld aufgebraucht sein könnte. „Ach Du liebes Unbewusstes“, ja, ohne Geld wirst Du sterben müssen. Hast Du vergessen, dass Du ohne einen Rappen auf die Welt kamst? Beschützt nur und getragen lebtest Du 90 Jahre vom Geist, der auch C. G. Jung beseelte, der ein Geist der Liebe zum Menschen und seiner Liebe ist. Wir wünschen Dir noch viele Jahre.
Sei mit Respekt herzlich umarmt,
Gert Sauer